Zu Beginn: Volksmusik singende Kinder – damit kann nichts schief gehen und ich erobere dein Herz im Sturm:

 

Am Ende des letzten Artikels habe ich ein schönes, altes Wort für jemanden versprochen, der ohne viel theoretisches Hintergrundwissen, mehr aus dem Bauch als aus dem Buch, einfach drauflos spielt, ein großes Repertoire auswendig parat hat und die Zuhörer auf einer nicht-intellektuellen, sondern eher emotional-spirituellen Ebene erreicht.

So einer ist…

Ein Musikant

Immer, wenn ich mit solchen „Bauch-Musikern“ zu tun hatte (und es wird hoffentlich noch oft der Fall sein), bleibt mir das in Erinnerung und ich meine zu spüren, um was es „im Kern“ eigentlich wirklich geht.

Bewertung (und das war ja letztes Mal das Thema) mutet dort im Kern jedenfalls einigermaßen grotesk an.

Ich wünsche mir mehr Musikantentum (auch bei mir selber) und weniger bedeutsame, elitäre Mienen auf den Podien und in den Feuilletons.

Man kann einen Gottesdienst – und nichts anderes ist große Musik, egal welcher Stilrichtung – bedeutungsschwanger in Ritualen erstarren lassen.

Oder einen Gospelgottesdienst feiern, bei dem jeder auch mitkriegt, dass man sich freut.

Wer hat z. B. die Regel erfunden, dass man auch nach einem noch so mitreißend abgelieferten Allegro Con Fuoco in der Mitte oder am Anfang eines mehrsätzigen klassischen Werkes nicht klatschen darf – und in welchem Grab liegt er?

Natürlich ist künstlerische Tiefe einher gehend mit einer gewissen Ernsthaftigkeit: Konzentration während des Vortrages ist bei allen Beteiligten von Nöten. Gerade im klassischen Musikbetrieb stößt mir aber bei den „Rahmenbedingungen“ der ein oder andere konservative Anachronismus sauer auf.

Wie dem auch sei, das Musikantische auf Basis der jeweiligen Volksmusik ist in manch anderer Kultur (etwa der afrikanischen oder brasilianischen) um einiges präsenter als in der unseren.

Deutsche Volksmusik hatte in meiner Jugend die Arschkarte

Vor allem in dieser Darreichungsform:

(Heideröslein)

Oder so:

(Im Frühtau zu Berge)

Wenn ich mir eine unqualifizierte Bemerkung erlauben darf: Was mich betrifft, klar, die eine kann singen, der andere nicht so – aber beides geht mir wahnsinnig auf den Zeiger!

Die 1000 Jahre im letzten Jahrhundert waren einfach ein paar zu viel.

Ich bin Jahrgang 1963, als ich geboren wurde, war der 2. Weltkrieg gerade einmal 18 Jahre vorbei. Die jungen Erwachsenen von damals waren im Krieg oder kurz danach geboren.

Nach all den hochgehaltenen „Preußischen Tugenden“, den braven Zopfmädels und vaterländisch blickenden Blondburschen schlug das Pendel – zwangsläufig und zum Glück! – in genau die entgegengesetzte Richtung aus:

Antiautoritäre Erziehung und „ziviler Ungehorsam“ waren trumpf; die Zeit von RAF, APO, OPA (eins von diesen Dingen gehört nicht zu den anderen), Studentenunruhen, Hausbesetzungen, Sex & Drugs & Rock ´n´Roll…

Womit wir bei der Musik wären:

Während meiner Kindheit und Jungend galten etwa deutsche Volkslieder, wie vieles „typisch deutsche“, bei mir und meinen Freunden als absolutes No-Go.

Doch mit Volksmusik aufzuwachsen bedeutet ja auch:

  • einfach mal so drauf los singen, egal, wie deine Stimme klingt
  • Musizieren ohne den Anspruch, dass es gleich Kunst sein und auf die Bühnen der Welt führen muss
  • ein Repertoire an Liedern, die jeder kennt
  • alle stimmen ein
  • alle haben Spaß am Klang
  • es wird gelacht, aber nicht ausgelacht, wenn´s mal schief tönt
  • Musik lernst du genau so mühelos und intuitiv wie deine Muttersprache, wenn sie von Geburt an Teil des täglichen Lebens ist

und du erfährst:

Musik war „schon immer“ da (selbst als sie noch niemand gemacht hat), sie ist ewig und ein Teil von uns, anstatt etwas Externes, das du dir erst mühevoll, unter Selbstkasteiung im großen Stil, aneignen musst.

Diese Erfahrungen haben in meiner Generation viel zu wenige gemacht.

Denn wir waren auf alles Volkstümliche regelrecht allergisch, auch auf  Weihnachtslieder, Heimatlieder und anderes altes Liedgut. Ach ja, habe ich schon erwähnt, dass Wanderlieder auch nicht unbedingt sein mussten? Wir fanden das dermaßen spießig, miefig und reaktionär! Und haben die marschierenden Truppen gleich mitgedacht…

Schade eigentlich.

Aber warum war das so?

Nun, die Nationalsozialisten hatten der Nachkriegsgeneration all das gründlich ausgetrieben. Die „Show“ war zwar schon ab 1945 offiziell vorbei, aber inoffiziell spukte noch so manch brauner Gedanke und Amtsinhaber durch den alles andere als gesunden deutschen „Volkskörper“.

Selbst das von der deutschen Nationalmannschaft (!) eingesungene offizielle Lied zur Fußball-WM 1974 in Deutschland, und damit so etwas wie ein prähistorischer Vorläufer von „Auf uns“ (dem WM-Song 2014 von Andreas Bourani), hatte irgendwie diesen fiesen Marschrhythmus:

Abgefahren, oder? Immerhin scheinen mir die letzten 40 Jahre frisuren- und groovetechnisch nicht ganz umsonst gewesen zu sein…

Aber verstehst du, was ich meine?

Des weitern hören wir jetzt, ebenfalls direkt aus den 1970er Jahren zugeschaltet, den Ray-Ban-Barden Heino mit seinem Signature-Schlager „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ (definitiv kein Link, musst du selber googeln):

Schwarzbraun ist die Haselnuss

Schwarzbraun bin auch ich,  ja ich

Schwarzbraun muss mein Mädel sein

Gerade so wie ich

 

 

 

 

 

 

Mal abgesehen von der reimtechnischen Bankrotterklärung: Diese Zeilen des alten Soldatenliedes, obendrein von einem sehr blonden Deutschen mit rrrrrollendem R vorgetragen: Ein Riesenerfolg – das ging gar nicht!

War ja auch nicht wirklich einfühlsam, nach

  • 6 Millionen ermordeter Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, „Zigeuner“
  • Euthanasie-Programm zur Vernichtung „unwerten Lebens“ (sprich geistig und körperlich Behinderter)
  • Wehrmachts-Verbrechen wie die Auslöschung ganzer Dörfer inklusive Frauen, Kindern, Babys während der „Eroberung von Lebensraum im Osten“
  • Massen-Erschießungen und verbranntem Land durch sehr deutsche „braune“ (!) Truppen sowie eine ebenfalls sehr deutsche schwarz (!) uniformierte SS

Jazzverbot → „Negermusik“, Wehrmacht → Bundeswehr, Kriegsdienst → „Wehrdienst“, Patriotismus, Disziplin, „deutsche Tugenden“, Blut und Boden, Vaterland, …Volksmusik… tja.

Zuviel „Volk“ beim Volkssport Nr. 1

Und sogar noch während der WM 2006 (dem „Sommermärchen“) habe ich bei all den plötzlich zur Schau gestellten

  • Deutschland-Flaggen
  • Deutschland-Hüten
  • Deutschland-Schals
  • Deutschland-T-Shirts
  • Deutschland-Außenspiegel-Kondomen
  • Deutschland-Deutschen

einen irritierenden Subtext mitgedacht und war durch jede kollektiv angestimmte Nationalhymne und die „´SCHLAND!!!“ grölenden Menschenmassen in den Stadien und beim Public Viewing, auf den Fanmeilen oder anderswo, unangenehm berührt. So richtig genießen kann ich solche Ansammlungen und deren Lautäußerungen nicht. Mir entgeht da was, vermute ich…

Aber wenigstens bin ich nicht der einzige.

Viele meiner Altersgenossen sind in Sachen Nationalstolz und seiner Symbole befangen – und eben auch in Sachen Volksmusik.

Es würde sich lohnen, letzteres bei folgenden Generationen wieder zu ändern.

Fazit

Wir brauchen eine moderne, frische, gleichzeitig traditionelle und progressive, kurz: unmuffige Volksmusik, die Spaß macht.

Und die Musikanten, die sie spielen!

In diesem Sinne:

 

Hast du ähnliche oder andere Erfahrungen in deiner Jugend gemacht?

Woher könnte die „neue Volksmusik“ kommen?

Wie müsste sie sich anhören?

Ideas welcome.

(Hey, aber das 7:1 unserer Jungs gegen Brasilien bei der Fußball-WM 2014 war schon der Hammer! Und der Siegtreffer im Finale: Schlichtweg  göttlich –1 A vorbereitet und großartig verwandelt, eventuell würde ich mich zu einem zaghaften „´Schländchen!“ hinreißen lasssen…)


Artikelbild: Gabi Eder  / pixelio.de

Was das Problem mit Wettbewerb in der Musik ist
Das gute Künstlerleben – so kriegst du's hin (Teil 1/3)

Volker Giesek

FEEDBACK