Mein Mohnsemmel-Manifest!
Ist das noch ein Musik-Blog hier?
Letztes Mal: Die Salami-Taktik, jetzt: Der Brötchenbrief und Mohnsemmeln.
Und wenn du weiter liest, begegnest du noch
- Butter
- O-Saft
- Wurst
- Käse
- Lachs und Sekt
- sowie einem Pfannkuchen
Hm…
Ernährungs-Blog Around Sound?
Giesek ganz unten?
Keine Angst, ich bin noch nicht komplett Banane (DA! Schon wieder was zu essen!).
Es ist nur so, dass ich 10 Jahre und 20 Produktionen lang Musikalischer Leiter am Theater war (also ein bisschen Banane schon…).
Und mir dort die Früchte (JETZT HÖR HALT AUF!!) meiner Arbeit nicht immer angemessenen vergütet erschienen.
Nur: Wie sagst du es deinem Intendanten, wenn er weghört, sobald du mit ihm darüber sprechen möchtest?
Der Theater-Mann wollte nicht zuhören, aber ich wollte ihn erreichen.
Da hab ich ihm eine Szene gemacht
Hier ist der (nur ganz leicht editierte und dem Medium angepasste) Original-Brief von damals.
Vielleicht kannst du dir davon ja eine Scheibe abschneiden (OCH NÖÖ, komm, jetzt reicht´s dann aber echt…!).
Lieber Chef,
mir liegt etwas auf der Seele, das ich mit Dir besprechen will und ich tue das schriftlich, da ich das Gefühl habe, im persönlichen Gespräch (das ich ansonsten vorziehe) mit bestimmten Themen nicht zu Dir vorzudringen.
Wie Du sicher bemerkt hast, bin ich – gelinde gesagt – einigermaßen überrascht, dass weder für die Theatergala noch für Proben und Aufführungen in Japan und USA eine Gage für die freiberuflich Beteiligten vorgesehen ist.
Das ist umso bemerkenswerter, als es diese Musical-Eigenproduktion ohne Choreografie und Musik ja gar nicht gegeben hätte.
Darüber hinaus stören mich noch ein paar andere „Umgangsformen“, die sich anscheinend immer mehr zum Standard an diesem Theater entwickeln.
Lass es mich mal so sagen:
Eine kleine Bäckerei irgendwo in Deutschland, kurz vor Ladenschluss.
Herein tritt
DER LETZTE KUNDE
Kunde: Guten Tag, ich hätte gern 120 Mohnsemmeln für morgen vorbestellt.
Bäcker (mit leuchtenden Augen): Kein Problem. Nicht gerade wenig bis morgen, aber wenn ich mich ranhalte: Kein Problem.
Kunde: Also, ich und meine Frau, wir machen nämlich ein großes Brunch für alle unsere Freunde und einige wichtige Geschäftspartner, und die Semmeln aus ihrer Bäckerei schmecken uns so hervorragend, es ist immer wieder eine wahre Freude da hineinzubeißen! Das werden unsere Gäste bestimmt auch finden.
Bäcker: Das freut mich zu hören.
Kunde: Wir dürfen uns auf keinen Fall vor denen blamieren, semmelmäßig, verstehen sie!
Bäcker: Schon klar, peinliche Sache, diese Supermarktsemmeln…
Kunde: Und, äh, ginge das, dass ich vielleicht extra viel Mohn drauf bekomme? Wissen sie, wir lieben Mohn!
Bäcker: Selbstverständlich, machen wir.
Kunde: Müssen aber um Punkt 7 gepackt sein, die Tüten.
Bäcker: Die Semmeln liegen ab 7 Uhr hier bereit für sie.
Kunde: Fein, bis morgen dann.
Am nächsten Morgen, Punkt 7 Uhr.
Bäcker: So, wie besprochen der Herr: 120 Mohnsemmeln mit extra viel Mohn. Das macht dann 48 Euro bitteschön, ach was, sagen wir 45.
Kunde: Wie: 45 Euro? Hat meine Frau sie denn nicht angerufen?
Bäcker: Lassen sie mich überlegen – nein, ganz sicher nicht. Was hätte sie mir denn ausrichten sollen?
Kunde: Nun ja, also wir wollen doch frühstücken…
Bäcker: Schon klar, mit meinen Mohnsemmeln…
Kunde: Ja schon, …
Bäcker: …weil die ja viel leckerer als die eingeschweißten vom Supermarkt sind, nicht. Und dabei gar nicht so viel teuerer.
Kunde: Sehen sie, das ist es ja eben. Nicht so viel teuerer, schon, schon, aber immer noch zu teuer. Wir haben ja so ein richtig großes Brunch geplant und alle unsere Freunde und auch ein paar Geschäftspartner sind eingeladen, sehr wichtige Geschäftspartner…
Bäcker: Wie sie bereits erwähnten.
Kunde: …und da wollen wir natürlich nicht als Knauser dastehen und wir haben erst mal für alle richtig viel Butter und O-Saft und Wurst und Käse und … – gut, zugegeben, ein bisschen Lachs und Sekt war auch dabei,… Worauf ich hinaus will, ist: Wir mussten diese ganzen Sachen ja knallhart bezahlen, die Leute im Supermarkt haben da irgendwie überhaupt nicht mit sich reden lassen und jetzt, na ja, jetzt sind nur noch sie übrig, …
Bäcker: Ich versteh nicht…
Kunde: Also um es kurz zu machen: Wir haben kein Geld mehr, um ihre Mohnsemmeln zu bezahlen.
Bäcker: Tja, wenn das so ist, dann bleiben die Semmeln natürlich hier, ist ja klar!
Kunde: Ach kommen sie, wollen sie die jetzt alle wegschmeißen oder selber essen, ha, ha… Und außerdem kommen um 11 Uhr die ersten Gäste, ich krieg so schnell keinen Ersatz.
Bäcker: … … …
Kunde (mit zunehmend erhobener Stimme): Sie können mir doch nicht mein Fest versauen, nur weil sie so geldgeil sind und unbedingt die ohnehin schon gebackenen Semmeln behalten wollen, jetzt geben sie schon her!
Bäcker (ruhig): Das kann ich nicht.
Kunde: Klar können sie! Sie müssen mir nur erlauben, jetzt mit den Tüten durch diese Tür zu gehen!
Bäcker: Das will ich nicht.
Kunde: Aber sie wollen schon, daß ich weiterhin meine Semmeln bei ihnen kaufe, nehme ich an?
Bäcker: Komisch, fühlt sich im Moment gar nicht wie kaufen an, was sie da treiben – eher wie…
sucht nach dem Wort …erschleichen.
Kunde (plötzlich verschwörerisch): Andererseits: Denken sie daran, was geschieht, wenn allen meinen Gästen ihre Semmeln so gut schmecken wie mir und meiner Frau und wir ihnen erzählen, wo wir die her haben…
Bäcker: … und was sie dafür bezahlt haben. Nein danke! Wenn ich ihnen die Semmeln jetzt umsonst gebe, warum sollten sie nächstes Mal dafür bezahlen? Warum sollte überhaupt irgend jemand jemals wieder für etwas bezahlen, wenn er alles umsonst bekommt, sobald er nur versichert, dass er kein Geld hat?
Kunde (wieder sehr aufgebracht): Aber ich versichere es nicht nur, ich habe wirklich keins, Mann!
Bäcker: Und jetzt müssen sie ihren Gästen wohl oder übel Wurst und Käse und Lachs ohne Semmeln reichen. Ungewöhnlich.
Kunde: Unmöglich! Was macht denn das für einen Eindruck. Die Semmeln sind ja die Grundlage des Buffets, also gewissermaßen das, worauf das Prinzip Wurst-, Käse- oder Lachssemmel sich überhaupt erst gründet…
Bäcker: Dann versteh ich was nicht.
Kunde: Wir brauchen die Semmeln unbedingt!
Bäcker: Versteh ich wirklich nicht.
Kunde: Unbedingt, das bedeutet: Ohne Semmeln kein Buffet, ohne Buffet kein Brunch, ohne Brunch…
Bäcker: Nein, nein, das mein ich nicht. Was ich nicht verstehe, ist, warum sie dann nicht zuallererst einmal sicherstellen, dass, um es einmal businessmäßig auszudrücken, die Finanzierung der Semmeln steht und von dort aus die Kalkulation starten. Die richtigen Prioritäten setzen, verstehen sie: Wenn´s nicht für „die Mutter aller Buffets“ reicht, laden sie nur die wirklich guten Freunde und am besten gar keine Geschäftspartner ein. Das entspannt die Party und die Kosten. Wenn auch das nicht geht, dann laden sie eben auf einen Drink, zur Matinee der Künste: brotlos. Kurz: Backen sie kleinere Brötchen, ha, ha, glauben sie mir, mit den Dingern kenn ich mich aus.
Kunde: Ein Mini-Fest, wie niedlich! Ich habe einen Ruf zu verteidigen, geht das nicht in ihren Schädel?
Bäcker (schärfer): Also was mich betrifft ist es nicht sonderlich ruffördernd, davon auszugehen, dass Leute plötzlich umsonst für einen arbeiten. Und still und heimlich Sonderrabatte zu beschließen oder Preise zu senken – als Kunde! So etwas kann man höchstens gewähren, und zwar als Semmelverkäufer, nach Rücksprache!
Kunde: Jetzt werden sie mal bloß nicht pampig.
Bäcker (versöhnlich): Schauen sie: Sie kaufen seit Jahren bei mir ihre Semmeln, die ihnen, wie sie zu meiner Freude nicht müde werden zu betonen, auch sehr gut schmecken, sie kennen die Preise. Außerdem: Man kann zwar nicht über alles, aber über vieles reden – aber nur, wenn mit einem geredet wird.
Kunde: Na ja, dann ist ja gut, also ich hab ja schon gesagt, die im Supermarkt waren da überhaupt nicht kompromissbereit, was die Bezahlung anbelangt, und da hab ich gedacht, sie als kleiner Familienbetrieb, da könnte man noch am ehesten…, also ich mein nicht, daß sie weniger wertvolle Arbeit verrichten oder so… Außerdem dachte ich, meine Frau hätte…
Bäcker: Wir drehen uns im Kreis. Wir kommen nicht von der Stelle, ich glaube, sie haben mir gar nicht richtig zugehört. Wissen sie, was meine Lieblingspostkarte ist?
Kunde (unwirsch): Keine Ahnung! Was soll denn das jetzt, das hat doch gar nichts damit zu tun!
Bäcker: Eben doch.
Kunde: Ich will meine Semmeln, immerhin habe ich dafür… Ach verdammt!!
Bäcker: Da sind vier leere Notenzeilen drauf.
Kunde: Was?!
Bäcker: Auf der Postkarte.
Kunde: Ja und, Herrgott nochmal?
Bäcker: Drüber steht: OHNE GELD KEINE MUSIK. Ist natürlich gar nicht mein Metier…
Mit diesen Worten schnappt sich der Bäcker die Semmeltüten und verschwindet in der Backstube. Nach einer Weile kehrt er zurück und stellt eine große Tüte auf den Tresen, davor ein Schild:
„1A Semmelbrösel. Riesentüte € 9.80“
Kunde: ICH WILL SEMMELN!!! ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
So, Chef, wir sind zurück im wahren Leben, ich bin´s wieder.
Wie wär´s, wenn wir mal so tun, als würde das Problem meiner Bezahlung für Japan (oder für was auch immer) mit mir besprochen:
„Mensch Volker, das ist uns zwar total peinlich, aber wir haben das Ding geldmäßig komplett von der falschen Seite aufgezäumt. Ausgerechnet dich und deine Kollegen aus der Kreativabteilung können wir, wie´s aussieht, nicht im üblichen Rahmen bezahlen. Sag jetzt nichts… Irgendwie wächst uns das gerade alles über den Kopf. Tja, und jetzt wollen wir fragen, ob du, damit die Party überhaupt steigen kann, bereit wärst, gagentechnisch ein bisschen abzuspecken. Natürlich nur für dieses eine Projekt, wir sind ja lernfähig.“
Dann würde ich ganz sicher nicht umgehend zur Semmelbröselmaschinen-Manufaktur eilen. Ich würde wahrscheinlich zunächst klar machen, dass mir
- selbstverständlich die Wiederaufnahmeproben vergütet werden sollen und man schauen müsste, wie lange denn wiederaufgenommen wird, um sich auf einen Preis zu einigen
- ebenso sämtliche, wo auch immer stattfindenden, Aufführungen plus Spesen
- und ich andernfalls lieber weiterhin mit meinem Sohn die tägliche Folge der Simpsons anschaue
- Ich würde dann aber ganz bestimmt auch sagen, dass ich mir vorstellen könnte, die am Spielort stattfindenden Proben – und die dürften ja recht umfangreich werden, so mit ganz anderem bzw. ohne Bühnenbild und in einer anderen Sprache, womöglich sogar zwei ganze Tage oder mehr – ohne „Mullen und Knullen“ (wie der Japaner ja bekanntlich sagt) auch ohne Geld musikalisch zu leiten:
- Aus Loyalität zum Theater
- weil ich es grundsätzlich toll finde, eine derartige Theaterreise auf die Beine zu stellen
- weil ich freundlich gefragt wurde
- weil die Mittel ja bekanntlich und natürlich allerorten wirklich knapp sind
- weil ich mich gerne einen Schritt auf das Theater zu bewege, wo ich hier schon die dreizehnte Produktion am Wickel habe und mir die Theaterarbeit immer noch höllischen Spaß macht…
Such Dir einen Grund aus oder nimm sie alle.
Vielleicht, aber nur vielleicht, würde ich dann noch erwähnen, dass es kein Argument sein kann,
- dass ich mich ja auch ganz umsonst, aber sicher nicht vergeblich, im Theater-Treff interviewen lasse, um über´s Musikerleben zu plauschen
- ohne Vergütung extra zum Ensembleprojekt Promotion-Talk für´s Lokal-Radio anreise
- gratis bei der Spielzeiteröffnung parat bin
- mich für Null Euro in den Zug setze und Pianistinnen begutachte (im Theater – nicht im Zug)
- für lau 12 Stunden unterwegs bin, um gratis bei der Theatergala zu proben und zu spielen, diesmal sogar ohne Fahrtkostenerstattung.
Und wenn ich besonders gut drauf wäre und schon gefrühstückt hätte, dann würde ich noch das sehr hübsche und hier überaus passende Zitat meines Vaters an den Mann bringen:
„Wer sich für einen Pfannkuchen ausgibt, wird dafür aufgefressen.“
Wenn ich diesem Theater also auch in Zukunft freundlich zugetan bleiben soll, möchte ich im Falle eines Falles gefragt werden, wenn´s finanziell knirscht und sich das auf meine Gagen auswirkt.
Das gehört besprochen und nicht angeordnet
Über neue Konditionen bei Spesen werde ich bitte wenigstens mit Begründung informiert, bevor mir einfach ein geänderter Vertrag zur Unterschrift ins Haus flattert.
Ich gehe auch weiterhin davon aus (und so war`s ja auch bis vor kurzem), dass „Zusatztermine“ im Zusammenhang mit einer Produktion, die zu Probenbeginn bekanntgegeben werden, angemessen vergütet sind.
Sollte das aus irgend einem Grund ausnahmsweise einmal nicht der Fall sein: siehe oben.
Ich finde, man sollte mit den „menschlichen Ressourcen“ des Theaters nicht allzu leichtfertig, sondern vielleicht sogar ein wenig behutsam umgehen.
Ich weiß, dass auch meine Kollegen diesen Brief inhaltlich grundsätzlich mittragen, dennoch geht er komplett auf meine Kappe.
Es grüßt Dich, etwas gequält, aber dennoch von Herzen
Volker
Bildnachweis
Theaterfotos Volker Giesek: Ingrid Rose
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