Zum Re-Release des Colorbox-Albums „Forbidden Blue“ von 1995

Mir ist die gute Fee erschienen. Sie war ein Mann.

Auch bei den Feen gibt es also noch einiges zu tun in Sachen Gendergerechtigkeit. Weit und breit kein Maskulinum – so ungerecht und 20. Jahrhundert!

Die „gute Fee“ war mein damaliger Bandkollege Robby Siemens, bürgerlich Robert von Siemens, und er ist tatsächlich ein Spross der Gründerfamilie des gleichnamigen Konzerns.

Jedenfalls hat er sich entschieden, lieber „Robby“ statt „Robert von“ zu sein und sich (unter anderem) dem Jazz zu widmen. Wer ihn spielen hört, weiß, dass es die richtige Entscheidung war.

Unsere Wege kreuzten sich bei der Fusion Band Tico Feo, mit der wir damals München und Niederbayern ziemlich unsicher machten. Dort war Robby Saxofonist, Komponist und Proberaumbesitzer.

Es muss so um 1993/94 gewesen sein, als er nach einer Probe, während wir beide an unserem Belohnungs-Augustiner zuzelten, zu mir kam: „Volker, du komponierst in letzter Zeit schöne Stücke. Ich finde, die müssen jetzt dringend mal auf eine CD. Ich habe für mich schon lange die Vision, mit ausgewählten Musikern eine aufzunehmen. Wollen wir ein Album gemeinsam produzieren, mit deiner Musik?“ Er hätte bereits ein Budget zur Seite gelegt, ich bräuchte mir über die Finanzierung keine Gedanken zu machen.

Komponisten-Jackpot!

Natürlich habe ich noch vor dem nächsten Schluck Bier euphorisch zugesagt. Danach rann es wie Gerstenöl-Champagner meine Kehle hinunter.

Die nächsten Wochen waren spannend. Es standen wichtige Entscheidungen an:

  • Welche Stücke kommen auf das Album?
  • Wer bildet gemeinsam mit uns die Basis-Band, wer also spielt Bass und Schlagzeug?
  • Welche zusätzlichen Instrumente wären bei welchen Titeln passend und welche Musiker sollen sie spielen?
  • Wollen wir (damals schwer angesagt für No-Names) einen Stargast engagieren? Wen? Für welche Songs?
  • In welchem Studio nehmen wir auf? Gibt es da einen Flügel?
  • Bekommen wir es vielleicht sogar bei einem guten Label unter?

Beachte: Wir befinden uns in den 1990er Jahren: Kein Streaming, kein Spotify. Kein Weg, als DIY- (Do It Yourself-) Musician eine VÖ komplett selbst zu stemmen.

Wir haben uns dann für eine abwechslungsreiche Mischung aus neun Titeln entschieden. A Flash From Brown Eyes von Robby, die anderen von mir.

Schlagzeuger Elmar Schmidt und Bassist Patrick Scales kannte ich aus Elmars Brasil-Show Aquarelas Do Brasil, bei der ich mit im Musiker-Pool war. Ich erinnere mich auch, dass Patrick relativ frisch bei Klaus Doldingers Passport eingestiegen war. Ich finde immer noch, die beiden sind auf dem Album ein Dream-Team in Sachen Groove. Patrick spielt außerdem ein toll phrasiertes Solo bei That’s Why und Elmar hat seinen Solo-Spot in Chocolate Sprinkles.

Genau auf diesen Tracks soliert auch Stargast Randy Brecker lange und gut auf Trompete bzw. Flügelhorn. Beim Thema von That’s Why wird er unterstützt von Claus Reichstaller, der mittlerweile Leiter der Jazzabteilung der Münchner Musikhochschule ist, wer hätte das damals gedacht?

Gitarrist Dieter Holesch und Drummer Christian Böhm kannten Robby und ich aus der Band Synergy, mit der wir regelmäßig auf der Bühne, u. a. der des Münchner Nachtcafés standen (hier war der Name Programm: Showtime von 23:00 bis 4:00 – anfangs sogar 0:00 bis 5:00 –, und man hatte gleich ein Engagement für eine ganze Woche, Kinder, das waren Zeiten!). Christian gibt Peace of Mind und How Could I Forget? den nötigen Raum und Dieter ist auf Bozzy an der akustischen und auf The Barking Fish an der elektrischen Gitarre zu hören, auch jeweils mit ausgedehnten Soli.

Zusätzliche Farbtupfer bei Peace of Mind, A Flash From Brown Eyes und Chocolate Sprinkles liefert die Percussion von Patricks damaligem Passport-Bandkollegen Ernst Ströer. Bei Bozzy und That’s Why ist Stephan Maaß am Werk, den Studiobetreiber und Toningenieur Michael Müller uns als ausgewiesenen Latin-Experten empfohlen hatte.

Michael hat in seinem Charisma-Studio formidabel aufgenommen und gemischt. Da dort kein Flügel stand, wurden die Klavieraufnahmen ausgelagert ins Yemaya-Studio in Grünwald. Alles fand analog und auf Mehrspurband statt. Da wurden noch händisch Fader gezogen, Potis gedreht und 1/4 Zoll-Tonband in der Klebeschiene geschnitten. Ich erinnere mich auch, dass mich Michael eines Morgens, angemessen bedröppelt, mit der Nachricht konfrontierte, dass er bei irgendeiner Aktion das komplette Klavier-Intro von Forbidden Blue vom Vortag gelöscht hatte. Tja, keine Festplatte, kein Backup, keine Cloud > kein Festplatten-Backup in der Cloud. Das Intro war unwiederbringlich flöten, ich habe es noch einmal eingespielt und Michael schuldet mir immer noch ein Bier…

Wie sich die Zeiten ändern: Früher hat Opa vom Krieg erzählt, heute erzählen die Musik-Veteranen von prä-digitaler Aufnahmetechnik.

Ich halte das für eine gute Entwicklung!

So, alles gespielt, gemixt und gemastert – fertig!

Und wohin nun mit dem Ganzen?

So ein Glück! Ein Schulkumpel von Robby, Christoph Bühring-Uhle, hatte sich 1988 mit seinem Label BSC Music selbständig gemacht. Robby hat einen Bandübernahme-Vertrag unterschrieben, die Songs sind in den angeschlossenen Verlag gewandert (wo sie immer noch sind) und BSC Music hat unser Album am 27. Mai 1995 veröffentlicht!

Allerdings unter einem anderen Albumtitel als geplant. Die Inspiration für den Opener kam durch den Besuch einer Kunstausstellung mit Werken des deutsch-amerikanischen Malers Lionel Feininger. Das berühmte „Feininger Blau“ hatte es mir besonders angetan und der Song sollte eigentlich Feininger’s Blue heißen. Wir hatten sogar schon einen Bildausschnitt auserkoren, den wir für das Cover verwenden wollten. Aber wir waren zu brav. Wir haben nämlich beim Anwalt des Urenkels von Lionel Feininger in New York um Erlaubnis gefragt. Die Antwort hätten wir aus der Familie eines Künstlers nicht erwartet: „We strictly forbid the name Feininger in connection with Jazz.“ Ich habe die Komposition kurzerhand in „Forbidden Blue“ umbenannt und mir trotzdem den Kunstdruck unseres auserwählten Feininger-Werkes, den Robby mir zum Release geschenkt hat, über das Sofa gehängt. Dort hängt er bis heute.

Welches Blau auch immer, Robby und ich waren stolz wie Bolle auf das, was wir angezettelt und durchgezogen hatten.

So klang damals die original Release-Info vom Label:

Ungewöhnliche Klänge und reiche Klangfarben aus dem tiefen Süden Deutschlands. Colorbox ist das gemeinsame Projekt von vier der interessantesten Musiker aus der gegenwärtig blühenden jungen deutschen Jazzszene.

Die Colorbox Masterminds Volker Giesek und Robby Siemens haben sich auf dem Stück des Weges ihres gemeinsamen Werdegangs schon mehrfach als führende Köpfe erfolgreicher Münchner Formationen bewährt. Volker Giesek entwickelte sich dabei zu einem vielbeschäftigten Komponisten und Arrangeur. Robby Siemens erfüllt nicht zuletzt als Satzführer und Solist in der Big Band Burghausen unter Führung von Al Parcino eine tragende Rolle. Der Drummer Elmar Schmidt ist u.a. Bandleader der bekannten Brasil Show „Aquarelas do Brasil“ und daneben ein äußerst gefragter Sessionmann, der mit nahezu jedem interessanten Act in Europa gearbeitet hat. Der junge Bassist Patrick Scales wurde u.a. als Mitglied von Klaus Doldinger’s Passport bekannt und leitet erfolgreich seine eigene Gruppe Scalesenders. Mit ihrem langjährigen gemeinsamen Bandprojekt Colorbox arbeiten die vier Musiker sprichwörtlich Jahre daran, die idealen Voraussetzungen für eine adäquate Dokumentation ihrer Musik auf CD zu schaffen. Auf ihrem Debütalbum „Forbidden Blue“ werden sie von einer Reihe musikalischer Freunde unterstützt und können u.a. einen echten Weltstar des Jazz als Special Guest begrüßen: Kein Geringerer als Randy Brecker veredelt zwei Tracks mit wunderbaren Improvisationen auf Trompete und Flügelhorn! „Unsere Musik ist für uns vor allen Dingen eine Form der Kommunikation“, sagt Robby Siemens, der mit seinem eleganten Saxophonstil dem Colorbox Sound sein akustisches Markenzeichen gibt. „Wie auch die Malerei ist sie eine direkt in die menschlichen Empfindungen treffende und überall auf der Welt verständliche Art der nonverbalen Kommunikation – deshalb kommt es nicht von ungefähr, daß sowohl unser Gruppenname als auch der Titel des Albums mit Farben zu tun haben.“

Diese neun zeitlos schönen Fusion-Stücke, größtenteils von Pianist Volker Giesek komponiert, zeigen, daß auch intelligente und anspruchsvolle Musik sehr unterhaltsam sein und einfach Spaß machen kann. Anregende nonverbale Kommunikation auf einem hohen Niveau!

Ok, eindeutig ein Werbetext. Die Wahrheit ist aber auch eher unsexy und nur bedingt in der Lage, das Interesse von Musikredakteuren, Veranstaltern und Feuilletons zu wecken:

Robby und Volker sind Band-Kumpels und hatten Bock eine CD zu machen. Kohle war kein Thema. Da haben sie einfach ihre Bandprojekte und die Stadt nach passenden Musikern durchforstet. Und weil die beiden zwar grundsympathisch, aber auch ein wenig größenwahnsinnig sind (und weil Kohle…, na, du weißt schon), haben sie auch gleich noch Randy Brecker aus New York engagiert. Der war eh auf Tour und hatte am Vorabend im Münchner Jazzclub Unterfahrt zu tun – und nach dem Vormittag bei ihnen im Studio garantiert ausreichend Kleingeld für 20 bis 30 Magnum Mandel an wirklich jeder Autobahnraststätte… Ach, ist das schön, wenn Kohle kein Thema ist!

Eine durch das Label in Aussicht gestellte Japan-Tournee scheiterte wohl daran, dass der Konzertveranstalter zunächst annahm, Randy Brecker würde fest zur Band gehören oder Colorbox wäre sogar sein Projekt. Schade, ein paar Termine in japanischen Jazzclubs hätten uns gefallen.

Einige schöne Konzerte haben wir dann mit der Basis-Band vom Album und mit anderen Besetzungen zwar gespielt, aber die waren von Japan richtig weit weg: Stadtteilfest München-Au, Feierwerk München oder Jazzclub Bad Tölz (wenn ich mich richtig erinnere).

Robby ist dann auf’s Land gezogen und ich war ab 1999 zehn Jahre als Musikalischer Leiter am Theater… Danach gab es meinerseits einen Colorbox-Relaunch in neuer Besetzung bei einer anderen Plattenfirma.

Im Herbst letzten Jahres hat Christoph mir nun erklärt, er würde die Label-Aktivitäten herunterfahren, da 60-Stunden-Wochen für einen Rentner (der er mittlerweile ist) einfach zu viel sind. Er nimmt daher ab 2021 Alben aus dem Katalog (und infolge dessen von den Portalen) bei denen der Arbeitsaufwand durch das Erstellen von Digital-Abrechnungen etc. in keinem vernünftigen Verhältnis zum finanziellen Ertrag steht. So eines ist inzwischen auch Forbidden Blue.

Er hat mein vollstes Verständnis.

Aber glücklicher Weise ist es ja mittlerweile ein Leichtes, als Urheber die digitale Verbreitung seines Outputs selber in die Hand zu nehmen und sich die gigantomanischen Streaming-Erlöse direkt vom DSP (Digital Service Provider) auszahlen zu lassen.

Als Over-Achiever, der ich bin, habe ich mir sogar von der GVL einen Labelcode besorgt und präsentiere überflüssiger Weise: Mein eigenes Label Barking Fish Music.

Ein guter Name, denn das bluesig groovende The Barking Fish ist einer jener Tracks auf dem Album, an denen ich auch nach über 25 Jahren (mehr als ein Vierteljahrhundert – oh, mein Gott!) nichts gravierend auszusetzen habe. Desgleichen hat Peace of Mind in meinen Ohren den „Test of Time“ bestanden: Die Harmoniefolge ist klischeefrei und ich feiere darin mein damals frisch entdecktes Lieblings-Voicing für Mollakkorde. Robbys A Flash Brown Eyes macht mir immer noch Spaß mit seinem Jungle-Groove und der teilweise skurrilen Anmutung. Das Klavier/Sopransax-Duo You Around hat im Studio einige Anläufe gebraucht, aber Robby spielt super und ich mag die Akkorde. Außerdem ist das Stück meiner Frau gewidmet, und auch die gefällt mir immer noch genau so gut wie damals – mindestens. Forbidden Blue schließlich ist sogar nach wie vor im Live Set der Band, wo der ausgedehnte Solo-Teil in sehr freie Gefilde führt.

Vor Kurzem hat nun die GEMA eine Mehrheitsbeteiligung am Digitalvertrieb Zebralution (mit dem auch BSC zusammen arbeitet) erworben. Sie sind gerade dabei, die Plattform MusicHub als Digital Service Provider aufzubauen. Zunächst nur für GEMA-Mitglieder, später auch für andere Musiker.

Also flugs meine GEMA-Nummer heraus gekramt, als Beta-Tester angemeldet und beta-getestet, ob MusicHub es tatsächlich schafft, das Album…

Forbidden Blue von Volker Gieseks Colorbox

ab heute, FR 19. Februar 2021

auf allen gängigen Streaming und Download-Portalen…

…am Start zu haben.

Nach allem, was ich weiß, sieht es gut damit aus.

Unterstützen kannst du mich wie immer über Bandcamp (auch ich mag Magnum Mandel…).

Als kleinen Ansporn, habe ich mir dort etwas Besonderes für dich ausgedacht:

Jeder, der das ganze Album auf Bandcamp kauft, erhält als Bonus, zusammen mit seinem Download, das original Notenmaterial von damals zu allen Songs als PDF. Teilweise in Sonntagsschrift von mir persönlich per Hand verfasst, teilweise mit den ersten Notationsprogrammen, die Gott werden ließ. Wer keine Noten lesen kann, möge sich auf einer rein grafischen Ebene daran erfreuen ;).

Ich freue mich aber auch über alle, die einfach zuhören, liken, und bei Bandcamp und Spotify den Follow-Button drücken!

Auf Spotify und Apple Music erscheint das Album auf meinem neuen „Volker Giesek“-Profil (nicht mehr auf „Volker Gieseks Colorbox“).

Sehr spezielle Zeiten
Lauschen

Volker Giesek

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